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Holzheimer Hobby-Archäologen entreißen der Geschichte ihre Geheimnisse

MittendrinDie lange und sorgfältige Arbeit im düsteren Keller des Holz­ heimer Rathauses und die langen Stunden auf den Äckern rund um den Ort zahlen sich für Bernd Gerigk und sein Team von der Arbeitsgruppe Archäologie im Heimatverein Holzheim oft aus – manchmal sogar deshalb, weil man nicht weniger als eine Sensati­ on zu Tage fördern kann, wie etwa das größte steinzeitliche Stein­ beil, das je nördlich der Alpen gefunden wurde. Ob die Sensation als solche bestätigt werden kann, wird sich vermutlich in den kom­ menden Wochen entsche iden, denn das Fundstück befindet sich derzeit zur wissenschaft lichen Untersuchung in Bonn.

Unter dem Motto ..Revolution Jungsteinzeit\“ wurde am 4. Sep­ tember die neue Archäologische Landesausstellung von NRW in Bonn eröffnet (geht bis April 2016). Dort werden auch die zwei Steinbeile der Archäologie-Werstatt des Heimatverein Holzheim ausgestellt. Es handelt sich um ein sehr großes Steinbeil aus dem Besitz von Hans Höffges aus Löveling. Er fand es im Sommer 1987 beim Kartoffelroden auf einem Feld zwischen Holzheim und Reu­ schenberg. Es ist 34 Zentimeter lang und wiegt 2680 Gramm. Es stammt aus dem Michelsberger-Kulturkre is und ist vor rund 6.000 Jahren hergestellt worden. Ebenfalls von Heinz Höffges ist das dechselähnliche Steinbeil aus Felsgestein, das in Sonn zu sehen ist. Das besondere an diesem Beil ist die ungleichmäßige Verwitterung auf den beiden Seiten. Es stammt aus der Zeit von 5.300 bis 4.400 vor Christus und gehört in die Zeit der Bandkeramiker oder der nachfolgenden Kultur von Großgertach .

Die Ausstellung will dem Besucher zeigen, wie der Übergang des modernen Menschen vom Jäger und Sammler zum sesshaften Ackerbauern erfolgt ist. Neueste Erkenntnisse, die durch Ausgra­bungen in den Braunkohlegebieten und durch Zufallsfunde an an­ deren Stellen gewonnen wurden, geben ein neues differenzierteres Bild dieser Übergangszeit. 

Bernd Gerigk mit einer kürzlich gefundenen Metallkugel. Dabei könnte es sich um eine Kanonenkugel handeln oder um Überbleibsel eines alten Schmelzofens .Der Großteil der Funde besteht allerdings aus Keramik- und Tonscherben.

Doch selbst über solche Funde kann Bernd Gerigk recht gelassen reden, denn spannende Funde gibt es in Holzheim oft, schließlich befindet man sich hier auf geschichtsträchtigem Gelände. So stieß man erst vor kurzem auf der Baustelle an der Raketenstation auf Funde aus der Eisenzeit – eine Premiere auf Neusser Stadtgebiet. Wichtigstes Projekt für die Arbeitsgruppe ist jedoch der Nachweis, dass das Gebiet um Holzheim herum seit der Römerzeit durchge­hend besiedelt war, dass auf den Grundmauern und Ruinen der da­maligen Villa Rusticas weitere Gebäude entstanden, die auch heute in den Bauernhöfen ihre unmittelbaren Nachfolger fanden. Ist es so, dass sich die Holzheimer nicht einmal von Franken und Hunnen aus ihrem Gebiet vertreiben ließen? Die Anzeichen verdichten sich, dass es genau so war. Doch dafür sind eine Menge Beweise und Indizien nötig, sehr viel Zeit und akribische Arbeit. Etwa 22.000 bis 25.000 Objekte lagern derzeit in den Regalen des Vereins unter dem alten Holzheimer Rathaus. Meist Scherben von Keramikobjekten aus der Zeit der Römischen Besatzungszeit Besonders scharf ist der Arbeitskreis derzeit auf Objekte aus der Zeit von etwa 150 bis 400 vor Christus, denn hier klafft noch eine Lücke.

Der Arbeitskreis Archäologie des Heimatvereins Holzheim ist eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich mit den Hinterlassenschaf­ten unserer Vorfahren beschäftigen. Er ist etwa zehn Mann stark und freut sich jederzeit über Verstärkung und neue Interessierte. Auch über Fundstücke aller Art freuen sich die Hobbyarchäologen, denn die Zeit wird knapp: \“Interessante Fundstücke werden nicht ewig zu finden sein\“, verrät Bernd Gerigk dem Magazin \“Mitten­ drin\“, \“schließlich bekommen wir auf den Feldern rund um Holz­heim immer nur so tiefen Einblick, wie auch der Pflug des Bauern eindringt. Mit jedem Frühjahr, jedem Pflügen und mit jeder neuer Aussaat werden weitere Stücke vernichtet. Es gab Jahre, da hat sich der Acker bei Regen rot verfärbt, aufgrund der zermahlenen Ton- und Keramik-Scherben. Wir haben vielleicht noch ein oder zwei Generationen, dann wird nichts mehr zu finden sein.\“ Auch Bauherren, die in Holzheim Bodenarbeiten vornehmen, sollten die Augen aufhalten.

Kleine Schätzchen können an der Oberfläche, aber auch tief im Boden versteckt liegen. \“Alle unsere Funde und die geologischen Beobachtungen ergeben viele kleine Mosaikstein­chen, die uns das Leben unserer Vorfahren erkennen lassen. Um daraus ein Bild über die ganze Zeit von etwa 10.000 vor Christus bis heute entstehen zu lassen, ist aber noch eine große Sammlung von Mosaiksteinehen notwendig. Die hauptamtlichen Archäologen haben mit ihren Funden ein Kenntnisgerüst über diesen Zeitraum aufgebaut. Wir hoffen nun, in dieses Gerüst die speziellen Holz­heimer Funde einzuarbeiten. Damit helfen wir der Wissenschaft, ein noch genaueres Bild unserer Vergangenheit zu entwerfen\“,so Bernd Gerigk.

Die Arbeitsgruppe Archäologie trifft sich einmal im Monat im Keller des alten Rathauses, die Termine gibt es unter:

www.archäologie-holzheim.de

Die Ausstellung

Das Landes-Museum Bonn zeigt bis zum 3. Apr il2016 die große Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen mit dem Schwerpunktthema \“REVOLUTION jung STEINZEIT\“ . Die Aus­ stellung widmet sich damit einer der wichtigsten Epochen der Menschheitsgeschichte, der Jungsteinzeit (Neolithikum). Erst­ mals werden in der großen Schau die Auswirkungen des enor­ men gesellschaftlichen Wandels, der sich in der Zeit von Ötzi und Stonehenge vollzog, brennenden Fragen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit gegenüber gestellt.

ln einem zweiten Abschn itt widmet sich die Schau den bedeu­tendsten archäologisc hen Funden Nordrhein-Westfalens aus den vergangenen fünf Jahren. Insgesamt rund 1.000 Objekte aus Mu­ seen, Sammlungen und Forschungseinrichtungen aus ganz Nord­ rhein-Westfalen, Deutschland und Europa, darunter eine Vielzahl noch nie zuvorausgestellter Funde, machen dieses umfassende Ausstellungsprojekt zu einem einzigartigen überregionalen Ereignis.

Im Anschluss an die Präsentation im LVR-Landes-Museum Bonn (bis 3. April 2016) wird die Ausstellung vom 2. Juli 20 16 bis zum 26. Februar 2017 im Lippischen Landesmuseum Detmold und vom 3. Juni bis zum 22. Oktober 2017 im LWL-Museum für Ar­chäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne, gezeigt.

LVR-LandesMuseum Bonn, Colmantstraße 14-16, 53115 Bonn, Tel. 0228 / 2 07 00, E-Mail:

Artikel Zeitung Mittendrin November 2015